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Selektivverträge: Chancen fürs Praxisgeschäft nutzen

Mit Selektivverträgen bieten Ärzt:innen ihren Patient:innen Leistungen außerhalb der Regelversorgung an. Welche Vorteile hat das?
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Niklas Best

CEO Oska Health

Selektivverträge eröffnen Ärzt:innen die Möglichkeit, Patient:innen zusätzliche Versorgungsangebote außerhalb der Regelversorgung anzubieten. Sie schaffen damit nicht nur neue Behandlungsoptionen, sondern auch wirtschaftliche Vorteile für die Praxis – von planbarer Vergütung bis hin zu effizienteren Abläufen.


Selektivverträge mit Krankenkassen: Grundlage für Ärzt:innen

Selektivverträge sind eine Alternative zur Regelversorgung im sogenannten Kollektivvertrag. Kollektivverträge werden zentral zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) oder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den gesetzlichen Krankenkassen bzw. deren Verbänden abgeschlossen. Damit sind sie für alle Beteiligten verbindlich. Selektivverträge funktionieren hingegen anders:


Ein Selektivvertrag wird direkt zwischen einer (oder mehreren) gesetzlichen Krankenkassen und einzelnen Leistungserbringern geschlossen – zum Beispiel mit Hausärzt:innen, Fachärzt:innen oder medizinischen Versorgungszentren. Sobald der Vertrag besteht, können Ärzt:innen ihre Patient:innen darin einschreiben.


Das bedeutet:

  • Die Teilnahme ist freiwillig. Es erfolgt keine automatische Einbindung über die KV. Das gilt sowohl für Ärzt:innen als auch für Patient:innen.
  • Nur Praxen, die die Teilnahme aktiv erklären (z. B. Beitritt zu einem bestehenden Rahmenvertrag) und die definierten Anforderungen erfüllen, nehmen teil.
  • Die Vertragsbedingungen (z. B. Vergütung, Dokumentation, Abläufe) gelten nur für die teilnehmenden Praxen und nur für Versicherte der jeweiligen Krankenkasse
  • Grundlage ist § 140a ff. SGB V („besondere Versorgung“)


Selektivverträge bieten Ärzt:innen die Möglichkeit, ihren Patient:innen Leistungen und Versorgungsprogramme außerhalb der Regelversorgung anzubieten – und das unter verbesserten Rahmenbedingungen. Damit können sie auf besonderen Behandlungsbedarf eingehen, der sich aus spezifischen Krankheitsbildern oder auch aus regionalen Versorgungssituationen ergibt.


Wichtig: Selektivverträge gelten nur für Versicherte der teilnehmenden gesetzlichen Krankenkassen.

Welche Formen von Selektivverträgen gibt es?

Selektivverträge lassen sich vereinfacht in drei Kategorien einteilen:


1. Modellvorhaben (§§ 63–65 SGB V)

Diese dienen dazu, innovative Versorgungsansätze außerhalb der Regelversorgung zu erproben – etwa neue Behandlungsmethoden, Organisationsformen oder digitale Lösungen. Ziel ist es, Erkenntnisse zu gewinnen, die später in die Regelversorgung überführt werden können.


2. Besondere Versorgung (§ 140a ff. SGB V)

Diese Verträge ergänzen die Regelversorgung und richten sich gezielt an bestimmte Patientengruppen (z. B. chronisch Kranke). Sie beinhalten zusätzliche oder besser strukturierte Leistungen wie kontinuierliche Betreuung, delegierbare Leistungen, digitale Begleitung oder indikationsspezifische Programme. Diese Form ist derzeit die relevanteste und am weitesten verbreitete Art von Selektivverträgen.


3. Substitution der Regelversorgung (z. B. in Hausarztverträgen)

In bestimmten Fällen ersetzt der Selektivvertrag Teile der Regelversorgung wie im Rahmen von Hausarztverträgen nach § 73b SGB V. Leistungen, die über den Selektivvertrag erbracht werden, werden dann aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) herausgelöst und gesondert vergütet. Das erfordert eine Bereinigung der Gesamtvergütung auf KV-Ebene.

Welche Vorteile bringen Selektivverträge für Ärzt:innen?

  • Zusätzliche, extrabudgetäre Vergütung: Viele Selektivverträge werden ohne Mengenbegrenzung oder Regressrisiken außerhalb der MGV vergütet.
  • Entlastung im Praxisalltag: Die Verträge beinhalten feste Leistungsmodule, die die Sprechstunde und die Beratung effizienter gestalten können.
  • Delegierbare Aufgaben und digitale Unterstützung: Viele Prozesse wie Dokumentation, Patientenkommunikation und Verlaufserhebung können durch digitale Programme und Tools optimiert werden.
  • Verbesserte Versorgungsqualität: Strukturierte Betreuung, Therapietreue und Patientenzufriedenheit werden gezielt gefördert.
  • Praxisprofilierung durch moderne Versorgung: Die Teilnahme zeigt Engagement für qualitätsgesicherte, patientenzentrierte Medizin, was gerade im Wettbewerb um Patient:innen ein Pluspunkt ist.

Welche Vorteile bringen Selektivverträge für Patient:innen?

  • Unterstützung im Alltag durch digitale Programme: Erinnerungen, Wissensinhalte und Verlaufstagebücher helfen, die Therapie in den Alltag zu integrieren.
  • Frühzeitiges Erkennen von Verschlechterungen: Durch engmaschige Kontrollen, digitale Begleitung und strukturierte Dokumentation können Komplikationen früher erkannt und behandelt werden.
  • Mehr Sicherheit durch mehr Wissen: Patient:innen erhalten relevante Informationen zu ihrer Erkrankung – verständlich aufbereitet und auf ihre Situation abgestimmt.
  • Höhere Lebensqualität und Selbstbestimmung: Bessere Koordination, weniger Unsicherheit und aktive Einbindung fördern das Selbstmanagement und entlasten gleichzeitig das Versorgungssystem.

Warum Selektivverträge in Praxen dennoch oft kritisch gesehen werden

Ärzt:innen und MFAs stehen Selektivverträgen häufig skeptisch gegenüber. Grund sind Erfahrungen mit älteren Verträgen, die in der Praxis mehr Arbeit als Nutzen gebracht haben:

  • Bürokratie und Zusatzaufwand: Einschreibung, Dokumentation und die Einhaltung vertragsspezifischer Abläufe verursachen in vielen Praxen Mehraufwand. Gerade MFAs empfinden die zusätzlichen Formulare und Systeme oft als Belastung im ohnehin vollen Arbeitsalltag.
  • Unsicherheit über den wirtschaftlichen Nutzen: Manche fürchten, dass die „Bereinigung“ der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) dazu führt, dass das Honorar an anderer Stelle wieder gekürzt wird. So entsteht der Eindruck: „Was über den Selektivvertrag reinkommt, geht über die KV-Vergütung wieder raus.“
  • Regionale Unterschiede und fehlende Standardisierung: Selektivverträge unterscheiden sich von Region zu Region und von Krankenkasse zu Krankenkasse. Das erschwert den Überblick, erfordert zusätzliche Schulungen und verhindert einfache Routineabläufe.
  • Unsicherheit durch häufige Vertragsänderungen: Rahmenbedingungen ändern sich regelmäßig, alte Verträge laufen aus oder müssen ersetzt werden. Für Praxen bedeutet das: zusätzliche Anpassungen, erneute Einarbeitung und damit Planungsunsicherheit.


Erfahrungswerte führten in vielen Arztpraxen zu einem negativen Bild von Selektivverträgen, da diese häufig mit hohem Mehraufwand bei gleichzeitig geringem Ertrag verbunden waren.


Was moderne Selektivverträge anders machen

Neuere Selektivverträge setzen bewusst an den Schwachstellen älterer Modelle an. Statt Praxen mit zusätzlicher Bürokratie zu belasten, liegt der Fokus auf klaren Prozessen, planbarer Vergütung und echter Entlastung im Alltag.


  • Digitale Einschreibung: Patient:innen können häufig direkt elektronisch eingeschrieben werden, teils sogar delegiert an MFA. Lange Formulare oder Mehrfachdokumentationen entfallen. Das spart Zeit und macht die Teilnahme auch für größere Patientengruppen praktikabel.
  • Transparente Vergütung: Verträge sind extrabudgetär und klar strukturiert. Ärzt:innen wissen vorab, welche Pauschale pro Patient:in oder Kontakt gezahlt wird, ohne verdeckte Abstaffelungen. Damit wird das Risiko, dass sich der Mehraufwand nicht rechnet, deutlich reduziert.
  • Schlanke Dokumentation: Statt umfangreicher Zusatzbögen konzentrieren sich die Anforderungen auf wenige, klinisch relevante Daten. Parallel-Dokumentationen sind nicht erforderlich, was den Verwaltungsaufwand spürbar senkt.
  • Hohe Übertragbarkeit: Viele moderne Verträge nutzen standardisierte Abläufe, die sich nur in Details zwischen Kassen oder Regionen unterscheiden. Das erleichtert die Einarbeitung und verhindert, dass Praxen für jeden Vertrag ein neues Prozedere lernen müssen.

Nachweisbare Effekte auf die Versorgungsqualität

In Studien konnte bereits nachgewiesen werden, dass Selektivverträge und die damit einhergehende Optimierung der Versorgung bei chronischen Erkrankungen zu besseren Therapieergebnissen, geringerer Hospitalisierungsrate und höherer Zufriedenheit bei Ärzt:innen und Patient:innen führt.

Sind DMP und HzV Selektivverträge?

Disease-Management-Programme (DMP) und die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) zählen formal ebenfalls zu den Selektivverträgen. Aufgrund ihrer besonderen gesetzlichen Verankerung nehmen sie jedoch eine Sonderstellung ein:


  • Krankenkassen sind nach § 73b und § 137f SGB V verpflichtet, Verträge zur HZV und zu DMPs anzubieten.
  • Die Teilnahme an DMPs oder der HZV ist für Praxen freiwillig, für die Krankenkassen aber gesetzlich vorgegeben.
  • Dadurch haben sich diese beiden Vertragsformen bundesweit etabliert und erreichen eine breite Versorgungswirksamkeit – im Gegensatz zu vielen anderen, freiwilligen Selektivverträgen.


Wie sieht ein Selektivvertrag im Praxisalltag aus? Beispiel Oska: Selektivvertrag zur strukturierten Versorgung bei chronischer Nierenerkrankung

Ein indikationsspezifischer Selektivvertrag nach § 140a SGB V im Bereich der chronischen Niereninsuffizienz (CKD) kann wie folgt aufgebaut sein:


  • Vertragspartner: Gesetzliche Krankenkassen. Der Rahmenvertrag besteht bereits; Praxen erklären ihre Teilnahme und können anschließend Patient:innen einschreiben.
  • Zielgruppe: Versicherte mit chronischer Nierenerkrankung und Begleiterkrankungen wie Hypertonie, Diabetes und Adipositas
  • Teilnehmende Leistungserbringer: Hausärzt:innen und/oder Fachärzt:innen, die aktiv am Vertrag teilnehmen
  • Leistungsinhalte: Patient:innen werden auch zwischen Arztterminen strukturiert begleitet. Pflegefachkräfte und Ernährungstherapeut:innen führen regelmäßige 1:1-Gespräche per Video oder Telefon, um Therapieempfehlungen im Alltag umzusetzen. Ergänzend stehen digitale Tagebücher (z. B. für Blutdruck oder Ernährung) sowie verständliche medizinische Inhalte zur Verfügung, die das Krankheitsverständnis und die Adhärenz stärken.
  • Praxisorganisation: Die Einschreibung erfolgt digital und wird von den Patient:innen selbst durchgeführt. Eine zusätzliche Dokumentationspflicht für die Praxis entfällt.
  • Vergütung: Extrabudgetäre Pauschalen pro Patient:in. Sie ist unabhängig von Fallzahlbegrenzungen und wird außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) vergütet. Damit entsteht für teilnehmende Praxen eine kalkulierbare und sichere Honorarbasis.
  • Datenschutz & Compliance: Die Vertragsunterlagen sind DSGVO- und SGB-konform ausgestaltet; benötigte Hinweise, Mustertexte und Checklisten stehen praxistauglich bereit.
  • Zielsetzung: Verlangsamung der Krankheitsprogression, Vermeidung von Akutdialysen, Verbesserung der Lebensqualität bei gleichzeitiger Praxisentlastung 


Damit wird sichtbar, wie Selektivverträge Versorgung und Wirtschaftlichkeit gleichermaßen fördern können: Patient:innen profitieren von einer strukturierten Betreuung und Praxen von planbaren Honoraren – ohne dass für Ärzt:innen und MFAs unverhältnismäßiger Mehraufwand entsteht.


Von der Behandlung zur extrabudgetären Vergütung: Abrechnungsschritte im Selektivvertrag

1. Teilnahme am Selektivvertrag

Ärzt:innen nehmen am bestehenden Rahmenvertrag teil, der bereits mit der Krankenkasse abgeschlossen wurde. Der Abschluss erfolgt in der Regel durch einen Versorgungspartner wie ein Ärztenetz, eine Managementgesellschaft oder ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Die Praxis muss keinen eigenen Vertrag abschließen und kann nach Teilnahmebeginn direkt Patient:innen einschreiben.

2. Patient:innen einschreiben

Ärzt:innen schreiben geeignete Patient:innen nach den vertraglich festgelegten Kriterien ein. Grundlage ist eine schriftliche Teilnahmeerklärung, die auch für die Abrechnung erforderlich ist.

3. Vertraglich vereinbarte Leistungen erbringen

Die im Vertrag festgelegten Leistungen, etwa Verlaufskontrollen, Beratungsgespräche, Koordination mit anderen Behandler:innen oder digitale Begleitungen, werden gemäß den vereinbarten Abläufen umgesetzt. Je nach Vertragsgestaltung übernehmen diese Aufgaben Ärzt:innen selbst, medizinische Fachangestellte oder externe Partner. Häufig legt ein definierter Behandlungspfad den genauen Ablauf fest.

4. Leistungen dokumentieren (nach Vertragsvorgaben)

Je nach Selektivvertrag werden erbrachte Leistungen und gegebenenfalls Verlaufsdaten erfasst. Das reicht von der reinen Leistungskennzeichnung für die Abrechnung bis hin zu standardisierten Verlaufsbögen oder digitalem Monitoring. Die Dokumentationsanforderungen sind im Vertrag klar geregelt.

5. Abrechnung erstellen und übermitteln

Die Abrechnung erfolgt direkt mit der Krankenkasse oder über einen Vertragspartner. Sie liegt außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) und ist ohne Mengenbegrenzung möglich.

6. Auszahlung erhalten

Nach Prüfung durch die Krankenkasse werden die vereinbarten Pauschalen oder Einzelleistungen an die Praxis bzw. das Ärztenetz überwiesen. Die Auszahlung erfolgt nach der vertraglich festgelegten Prüf- und Bearbeitungsfrist, oft monatlich oder quartalsweise.


Fazit: Selektivverträge im Praxisalltag

Selektivverträge können sowohl medizinisch als auch wirtschaftlich eine sinnvolle Ergänzung zur Regelversorgung sein. Sie bringen zusätzliche Vergütungsmöglichkeiten, erfordern aber auch klare Strukturen in Dokumentation und Organisation. Für Haus- und Fachärzt:innen lohnt es sich, die regional verfügbaren Verträge zu prüfen und abzuwägen, ob sie zur eigenen Praxis und Patientenstruktur passen.


Damit lassen sich Selektivverträge gezielt einsetzen: nicht als Standardlösung für alle, sondern als Baustein, der die Versorgung erweitern und den Praxisbetrieb wirtschaftlich erfolgreicher machen kann.

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Niklas Best

CEO Oska Health

Niklas hat 10 Jahre Erfahrung in der Nierenindustrie sowie in Aufbau und Leitung von leistungsstarken digitalen Teams. In seiner letzten Position war er Director of Digital Products bei Fresenius Medical Care. Niklas hat drei Unternehmen gegründet und hält einen Executive MBA der Universität St. Gallen.