Hausarztzentrierte Versorgung: HZV-Vertrag erklärt
Oska Health Sales
Die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) ist in vielen Praxen längst etabliert – in Deutschland sind ca. 10 Millionen Patient:innen in die HZV eingeschrieben. Sie rückt die Hausarztpraxis stärker ins Zentrum der Patientenversorgung und stärkt ihre Rolle als koordinierende Anlaufstelle. Wer über eine Teilnahme nachdenkt, sollte die Chancen und Herausforderungen kennen – und kann so entscheiden, ob HZV in der eigenen Praxis angeboten werden soll.
Was ist die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV)?
Bei der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV), auch Hausarztprogramm oder Primärarztsystem, übernimmt der Hausarzt oder die Hausärztin eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung. Die Hausarztpraxis ist mit wenigen Ausnahmen bei allen gesundheitlichen Anliegen die erste Anlaufstelle. Der Hausarzt oder die Hausärztin ist damit die primäre Ansprechperson bei Beschwerden in verschiedensten Bereichen, denn genau dafür sind Allgemeinmediziner:innen ausgebildet. Im Mittelpunkt stehen Behandlung, Koordination und der Überblick über die gesamte Versorgung. Bei Bedarf erfolgt die Überweisung an Fachärzt:innen oder Krankenhäuser.
Patient:innen verpflichten sich bei der HZV, im Krankheitsfall immer zuerst die eingeschriebene Hausarztpraxis aufzusuchen. Die Teilnahme ist freiwillig und richtet sich nach den vertraglichen Vorgaben der jeweiligen Krankenkasse.
Rechtliche Grundlage der HZV
Alle gesetzlichen Krankenkassen sind verpflichtet, die HZV als Alternative zur kassenärztlichen Regelversorgung anzubieten. Die Verträge werden direkt mit Hausärzt:innen oder deren Zusammenschlüssen geschlossen und nicht über die Kassenärztliche Vereinigung.
Damit ein HZV-Vertrag gültig ist, muss er bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu zählen etwa die koordinierende Rolle der Hausarztpraxis, festgelegte Qualitätsstandards und klare Vergütungsregelungen. Diese erfüllen die meisten Praxen aber ohnehin, sodass hier kein Mehraufwand entsteht. Für Ärzt:innen und Patient:innen ist die Teilnahme freiwillig, jedoch an die vertraglich vereinbarten Rechte und Pflichten gebunden.
Regionale Unterschiede in der HZV
Nicht in allen KV-Bezirken stehen dieselben Verträge zur Verfügung. Die HZV wird auf Landesebene verhandelt, weshalb die konkrete Ausgestaltung, etwa teilnehmende Krankenkassen, Vergütungsmodelle oder Zusatzleistungen, regional variiert. Für Hausarztpraxen bedeutet das, dass sie prüfen müssen, welche Verträge vor Ort gelten und welche Rahmenbedingungen dort angeboten werden. Diese können auf den Webseiten der verschiedenen Landesverbände eingesehen und heruntergeladen werden.
Welche Ausnahmen gibt es bei der HZV?
Auch wenn Patient:innen im Rahmen der HZV verpflichtet sind, zunächst ihre Hausarztpraxis zu konsultieren, gibt es gesetzlich und vertraglich geregelte Ausnahmen. Diese dienen dazu, im Notfall oder bei bestimmten Versorgungssituationen eine schnelle und angemessene Behandlung zu ermöglichen.
Typische Ausnahmen sind:
- Notfälle: Bei akuten, lebensbedrohlichen Situationen kann jede Ärztin bzw. jeder Arzt oder eine Notaufnahme direkt aufgesucht werden.
- Bestimmte Facharztgruppen: Für Leistungen, die üblicherweise nicht vom Hausarzt koordiniert werden (z. B. Augenärzt:innen, Gynäkolog:innen), ist häufig kein Überweisungsschein nötig.
- Urlaub oder Abwesenheit der Hausarztpraxis: Vertretungsärzt:innen können ohne vorherige Rücksprache aufgesucht werden. Bei der Vertretung muss es sich aber auch um eine HZV-Praxis handeln.
- Vertragsindividuelle Regelungen: Je nach Krankenkasse und HZV-Vertrag können weitere Ausnahmen gelten, etwa für spezialisierte Therapien oder Disease-Management-Programme (DMP).
HZV-Vertrag: Vorteile für Ärzt:innen
Einheitliche Pauschalvergütung als Kalkulationsgrundlage
HZV-Verträge arbeiten in der Regel mit klar definierten Pauschalen, die unabhängig von Fallzahl oder Abstaffelungen gelten. Dadurch wird das Honorar planbar und frei von Mengenbegrenzungen oder Regressrisiken. Neben einer Grundpauschale kommen je nach Vertrag weitere Zuschläge hinzu – etwa für die Betreuung chronisch Kranker, Hausbesuche, Impfungen oder die Einschreibung neuer Patient:innen. Die Auszahlung erfolgt meist quartalsweise und sorgt für einen verlässlichen Zahlungsfluss.
Ein Vorteil für die Praxisplanung: Die Pauschalbeträge sind vertraglich festgelegt und es gibt keinen schwankenden Punktwert. In vielen Fällen liegt der durchschnittliche Behandlungsfallwert höher als im KV-System, wobei die tatsächliche Differenz von Faktoren wie Patientenzahl, Chronikeranteil und Vertragsgestaltung abhängt.
Langfristige Patientenbindung
In der HZV wählen Patient:innen ihre Hausarztpraxis bewusst als zentrale Anlaufstelle für alle gesundheitlichen Anliegen. Mit der Einschreibung verpflichten sie sich, zuerst immer diese Praxis zu konsultieren. Für Hausärzt:innen bedeutet das eine verlässliche Patientenbasis, kontinuierliche Arzt-Patient-Beziehungen und die Möglichkeit, die Behandlung langfristig zu steuern.
HZV-Vertrag: Nachteile für Ärzt:innen
Bürokratischer Aufwand
Eine Veränderung bedeutet für die Praxis zunächst Mehraufwand in der Einarbeitungsphase. Schulungen für das Team sind notwendig, um die HZV sicher umzusetzen. Technisch hält sich der Aufwand allerdings in Grenzen: In der Regel wird lediglich ein HZV-Modul in die bestehende Praxissoftware integriert, das mit monatlichen Kosten verbunden ist. Zusätzlich ist eine Abstimmung mit dem Labor erforderlich, da Prozesse bei der Übermittlung von Laborwerten angepasst werden müssen. Auch die Abrechnung verändert sich: Statt mit EBM-Ziffern über die KV wird mit HZV-spezifischen Pauschalen gearbeitet, die über eigene Strukturen abgerechnet werden.
Mögliche Zunahme des Patientenstroms
Durch die langfristige Bindung von HZV-Patient:innen und die Rolle als erste Anlaufstelle können Ärzt:innen ihr Patientenaufkommen in der Praxis steigern. Das ist zwar positiv für die wirtschaftliche Leistung einer Praxis, kann in manchen Fällen aber auch eine Anpassung der Terminplanung oder der internen Ressourcen erfordern.
HZV-Vertrag: Vorteile für Patient:innen
Feste Ansprechperson für alle Anliegen
Durch das Primärarztprinzip wissen Patient:innen stets, an wen sie sich mit gesundheitlichen Problemen wenden können. Das erleichtert Terminabsprachen, stärkt die langfristige Bindung zur Praxis und vermittelt ein Gefühl von Sicherheit.
Bessere Koordination und Gesundheitsüberwachung
Der Hausarzt oder die Hausärztin koordiniert die gesamte medizinische Versorgung. Dazu zählen etwa die Medikationsüberwachung oder Facharztüberweisungen. Außerdem erhält die Hausarztpraxis alle Befunde. Regelmäßige Verlaufskontrollen ermöglichen es, Risiken, Nebenwirkungen oder gesundheitliche Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen und gegenzusteuern. So lassen sich Doppeluntersuchungen vermeiden und die Wahrscheinlichkeit für vermeidbare Krankenhausaufenthalte verringern.
Weitere Vorteile für Patient:innen: Viele HzV-Verträge sehen zusätzliche Check-ups vor. Außerdem verpflichten sich manche Praxen zu erweiterten Öffnungszeiten, teilweise mit speziell reservierten Terminen für eingeschriebene HZV-Patient:innen. So wird eine verlässliche Betreuung und ein gesicherter Zugang zur Praxis gewährleistet.
HZV-Vertrag: Nachteile für Patient:innen
Bindung an eine Hausarztpraxis
Mit der HZV verpflichten sich Patient:innen für mindestens ein Jahr, im Krankheitsfall zunächst ihre gewählte Hausarztpraxis aufzusuchen. Manche empfinden diese Bindung als Vorteil. Andere sehen sie als Einschränkung, wenn sie beispielsweise unzufrieden sind und einen Wechsel wünschen. Ärzt:innen sollten diesen Aspekt im Patientengespräch klar ansprechen, damit die Entscheidung bewusst getroffen wird.
Nachweisbare Effekte von der HZV
Unabhängige Studien der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg zeigen, dass die HZV in Baden-Württemberg jährlich über 4.000 Krankenhauseinweisungen verhindert und die Arzneimitteltherapiekosten pro Patient:in um rund 100 € senkt. Ergänzende Evaluationsanalysen, etwa der AOK Rheinland/Hamburg, zeigen zudem langfristig stabile Effekte: Im Vergleich zur Regelversorgung verhalten sich innerhalb der HZV-Population steigende Kosten moderater und die Krankenhausverweildauer sinkt.
So schreiben Sie Patient:innen in die HZV ein
1. Prüfen, ob ein HZV-Vertrag verfügbar ist
Überprüfen Sie, ob Ihre Praxis im KV-Bezirk von der jeweiligen Krankenkasse einen HZV-Vertrag angeboten bekommt und ob Sie die vertraglichen Voraussetzungen erfüllen.
2.Teilnahme erklären
Die Teilnahme erfolgt durch Annahme des Vertrages zwischen der Krankenkasse und der Praxis. Ein eigener Vertragsabschluss mit der Krankenkasse ist in der Regel nicht erforderlich.
3.Patient:innen informieren und einschreiben
Ob ein Patient oder eine Patientin für die HZV eingeschrieben werden kann, zeigt in der Regel das Praxisverwaltungssystem über das HZV-Modul an. Klären Sie interessierte Versicherte über Ablauf, Vorteile und Pflichten auf und lassen Sie sie die Teilnahmeerklärung unterschreiben. Diese wird in den meisten Fällen elektronisch an die Krankenkasse übermittelt.
4.Versorgung gemäß Vertrag umsetzen
In der HZV erbringen Sie im Wesentlichen die gleichen Leistungen wie in der Regelversorgung – etwa Erst- und Verlaufskontakte, Medikationskontrollen oder Vorsorgeempfehlungen. Neu ist die klare Rolle als erste Anlaufstelle für Patient:innen.
5.Abrechnung
Sie rechnen Ihre HZV-Leistungen nicht über die KV ab, sondern übermitteln diese elektronisch an die HÄVG. Die HÄVG prüft Ihre Angaben und sorgt dafür, dass die Vergütung direkt an Ihre Praxis ausgezahlt wird.
Fazit: Wann lohnt sich die Hausarztzentrierte Versorgung?
Die HZV gilt als wichtiger Baustein für eine stärker koordinierte und patientennahe Versorgung. Zu Beginn erfordert die Einführung zusätzlichen Aufwand, etwa durch die Einrichtung des HZV-Moduls in der Praxissoftware und Absprachen mit dem Labor.
Für Hausarztpraxen bietet die Teilnahme die Chance, die Versorgung zu strukturieren und den Praxisalltag besser zu organisieren. Sie stärkt die Patientenbindung und schafft eine verlässliche Vergütungsbasis. Besonders Praxen, die bereits über eingespielte Teams und eine gewisse organisatorische Größe verfügen, profitieren, da sie die zusätzlichen Prozesse leichter integrieren können.
Ob sich die Teilnahme lohnt, hängt stark von der individuellen Praxisorganisation, der Patientenstruktur und den regional angebotenen Verträgen ab. Wer diese Faktoren berücksichtigt, kann die HZV als Instrument für Qualität und Wirtschaftlichkeit einsetzen.
Oska Health Sales
Bijan leitete mehrere Jahre ein diabetologisches Schwerpunktzentrum, bevor er in die Leitung einer Privatklinik wechselte. Dort baute er medizinische und operative Teams auf, verantwortete die nationale und internationale Patientenkommunikation, etablierte Kooperationen mit führenden Fachärzten in Deutschland und hielt Vorträge in den USA und Saudi-Arabien zu Immunologie und International Healthcare.
Er studierte Medizin an den Universitäten Mainz und Homburg-Saarbrücken und ergänzte seine Ausbildung durch eine betriebswirtschaftliche Weiterbildung. Seine Stärke liegt im Aufbau leistungsfähiger Teams in der Medizin.