Facharztprogramm: Was Ärzt:innen über Ablauf und Vergütung wissen sollten
CEO Oska Health
Facharztprogramme verbinden Haus- und Fachärzt:innen zu einem festen Versorgungsnetz. Damit sichern sie Patient:innen eine verbesserte Versorgung und eröffnen Ärzt:innen neue Möglichkeiten – von extrabudgetärer Vergütung bis hin zu einer engeren Kooperation zwischen den Versorgungsstufen.
Was ist das Facharztprogramm?
Facharztprogramme sind Selektivverträge, die die Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fachärzt:innen stärken. Die Hausarztpraxis übernimmt dabei die koordinierende Rolle und überweist Patient:innen bei Bedarf an teilnehmende Fachärzt:innen. Auf diese Weise entsteht eine strukturierte Behandlungskette, die eine umfassende Versorgung ermöglicht und unnötige Mehrfachuntersuchungen vermeidet.
In der Regel sind Facharztprogramme eine Ergänzung zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV). Patient:innen schreiben sich daher zunächst in die HZV ein und können anschließend zusätzlich am Facharztprogramm teilnehmen. Die Teilnahme ist für Patient:innen freiwillig.
Welche Voraussetzungen gelten beim Facharztprogramm?
Entscheiden sich Patient:innen für die Teilnahme am Facharztprogramm, stimmen sie folgenden Punkten zu:
- Verbindliche Einschreibung:
Die Teilnahme gilt für mindestens zwölf Monate. Ein vorzeitiger Ausstieg ist normalerweise nicht möglich.
- Überweisungspflicht:
Fachärzt:innen und Therapeut:innen können ausschließlich nach Überweisung durch die gewählte Hausarztpraxis aufgesucht werden.
Fachgebiete im Facharztprogramm
Die Facharztprogramme decken mehrere medizinische Disziplinen ab:
- Kardiologie
- Gastroenterologie
- Psychiatrie
- Psychotherapie
- Neurologie
- Orthopädie
- Rheumatologie
- Urologie
- Pneumologie
Rechtliche Grundlage des Facharztprogramms
Facharztprogramme basieren auf den Regelungen des Sozialgesetzbuches V (SGB V), insbesondere auf den §§ 73c sowie 140a ff. Sie schaffen die Möglichkeit einer besonderen ambulanten fachärztlichen Versorgung als Ergänzung zur kassenärztlichen Regelversorgung.
Im Unterschied zur HZV, die jede gesetzliche Krankenkasse verpflichtend anbieten muss, sind Facharztprogramme kein Pflichtangebot. Krankenkassen können entsprechende Verträge mit Fachärzt:innen, deren Verbünden oder Fachgesellschaften schließen. Einzelne Fachärzt:innen treten diesen Verträgen freiwillig bei und nehmen so am Programm teil. Die Kassenärztliche Vereinigung ist dabei nicht eingebunden. Damit ein Facharztvertrag gültig ist, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein – darunter die enge Abstimmung mit der hausärztlichen Versorgung, festgelegte Qualitätsstandards und klare Vergütungsregelungen.
Regionale Unterschiede im Facharztprogramm
Facharztprogramme gibt es aktuell noch nicht bundesweit. Ob und in welchem Umfang Verträge bestehen, hängt von den einzelnen Krankenkassen und den regionalen Strukturen ab. Während die HZV in ganz Deutschland verpflichtend angeboten wird, sind Facharztprogramme bislang auf wenige Regionen beschränkt – am weitesten entwickelt ist das Modell in Baden-Württemberg.
Für Facharztpraxen bedeutet das: Sie müssen prüfen, ob in ihrer Region ein Facharztvertrag verfügbar ist und ob sie die Teilnahmebedingungen erfüllen. Informationen dazu stellen in der Regel die Krankenkassen oder die HÄVG bereit.
Wie läuft die Teilnahme am Facharztprogramm ab?
Das Facharztprogramm ist ein gemeinsames Versorgungsmodell von Hausärzt:innen, Fachärzt:innen und Krankenkassen. Damit Patient:innen teilnehmen können, braucht es die aktive Mitwirkung beider Seiten – der Hausarztpraxis und der Facharztpraxis.
1. Teilnahme der Fachärzt:innen
Fachärzt:innen können am Facharztprogramm teilnehmen, wenn sie einem bestehenden Facharztvertrag beitreten. Diese Verträge schließen die Krankenkassen mit Ärzteverbünden ab. Die HÄVG verwaltet die teilnehmenden Fachärzt:innen und stellt deren Liste bereit, die in der Regel direkt in die Praxissoftware integriert ist.
Für Fachärzt:innen bedeutet das:
- Der Beitritt erfolgt über die HÄVG bzw. den jeweiligen Ärzteverbund.
- Nach erfolgreicher Teilnahme erscheinen sie automatisch in der Liste der überweisungsfähigen Fachärzt:innen.
2. Einschreibung der Patient:innen in die HZV
Bevor Patient:innen am Facharztprogramm teilnehmen können, müssen sie in der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) eingeschrieben sein. Die Hausarztpraxis übernimmt in der Regel die Aufklärung und Einschreibung über das Praxisverwaltungssystem.
3. Information und Einschreibung ins Facharztprogramm
Wenn Patient:innen für eine fachärztliche Behandlung infrage kommen, informiert die Hausarztpraxis sie über das Facharztprogramm und übernimmt auch hier die Einschreibung direkt digital – meist zusammen mit der HZV-Einschreibung.
Für Hausärzt:innen bedeutet das:
- Patient:innen aktiv über das Facharztprogramm informieren.
- Die Einschreibung im Praxisverwaltungssystem dokumentieren.
4. Koordinierte Überweisung
Sobald eine fachärztliche Behandlung notwendig ist, überweist die Hausarztpraxis die Patient:innen gezielt an teilnehmende Fachärzt:innen aus der HÄVG-Liste.
5. Verbindliche Teilnahme
Die Teilnahme gilt für mindestens zwölf Monate. In dieser Zeit erfolgt die fachärztliche Behandlung ausschließlich durch Vertragspartner im Facharztprogramm.
Vorteile für Ärzt:innen im Facharztprogramm
Für Hausärzt:innen
- Gestärkte Koordinationsrolle: Die Hausarztpraxis ist die Schnittstelle für alle medizinischen Anliegen und behält den Überblick über die gesamte Versorgung.
- Langfristige Patientenbindung: Eingeschriebene Patient:innen verpflichten sich für mindestens zwölf Monate. Das schafft Kontinuität in der Betreuung und stärkt die Bindung zwischen Hausarztpraxis und Patient:innen.
- Sicherstellung der fachärztlichen Versorgung: Über das Facharztprogramm können Hausärzt:innen gewährleisten, dass ihre Patient:innen bei Bedarf zeitnah an Facharztpraxen vermittelt werden.
Für Fachärzt:innen
- Teil eines festen Versorgungsnetzes: Fachärzt:innen können sicher sein, dass Hausärzt:innen ihre Patient:innen innerhalb dieses Netzes überweisen. Das führt zu einem sicheren Patientenaufkommen.
- Extrabudgetäre Vergütung: Leistungen im Facharztprogramm werden außerhalb der KV-Budgets vergütet. Damit entfallen Abstaffelungen und Punktwertschwankungen, die Honorare sind planbarer. Die genaue Höhe hängt vom jeweiligen Facharztvertrag, der Krankenkasse und der Fachrichtung ab.
- Zusammenarbeit mit Hausärzt:innen: Patient:innen werden von der Hausarztpraxis überwiesen. Dabei entsteht eine enge Zusammenarbeit, bei der relevante Informationen zur Krankheitsgeschichte und zum weiteren Verlauf weitergegeben werden.
Nachteile für Ärzt:innen im Facharztprogramm
Für Hausärzt:innen:
- Bürokratischer Mehraufwand: Die Teilnahme am Facharztprogramm bedeutet zusätzlichen organisatorischen Aufwand. Patient:innen müssen über das Programm informiert und eingeschrieben werden, was Zeit im Praxisalltag beansprucht. Technisch ist dafür ein Modul im Praxisverwaltungssystem notwendig, das mit laufenden Kosten verbunden ist. Auch für das Team ist eine Einarbeitung erforderlich.
Für Fachärzt:innen:
- Feste Vorgaben bei Terminen und Sprechstunden: Für Programmpatient:innen gelten vertraglich festgelegte Fristen und teilweise auch reservierte Zeitfenster. Für Fachärzt:innen bedeutet das zusätzlicher Aufwand in der Praxisorganisation und weniger Spielraum bei der Terminplanung.
- Zusätzliche Dokumentationspflichten: Auch in der Regelversorgung sind Dokumentation und Rückmeldung an die überweisende Praxis üblich. Im Facharztprogramm sind diese Vorgaben jedoch detaillierter und verbindlich festgelegt – etwa durch standardisierte Rückmeldewege oder verpflichtende Qualitätsindikatoren. Das sorgt für Transparenz, bedeutet für Fachärzt:innen aber auch etwas mehr administrativen Aufwand.
- Kein direkter Zugang zu Patient:innen: Fachärzt:innen können Patient:innen nicht selbst einschreiben. Sie sind auf Überweisungen aus der Hausarztpraxis angewiesen. Damit entfällt die Möglichkeit, aktiv neue Patient:innen ins Programm aufzunehmen.
Gibt es eine extrabudgetäre Vergütung für Hausärzt:innen?
Die extrabudgetäre Vergütung läuft für Hausärzt:innen über die HZV-Pauschalen. Für die Überweisung im Facharztprogramm selbst gibt es keine gesonderte Vergütung.
Vorteile für Patient:innen im Facharztprogramm
- Schnelle Terminvergabe: Für reguläre Behandlungen erhalten Patient:innen einen Termin beim Facharzt innerhalb von 14 Tagen. In dringenden Fällen erfolgt die Terminvergabe sogar innerhalb eines Tages nach Anmeldung durch die Hausarztpraxis. Bei psychotherapeutischen Notfällen ist ein Termin innerhalb von drei Tagen vorgesehen.
- Verlässliche Sprechstundenzeiten: Teilnehmende Fachärzt:innen bieten werktags (Montag bis Freitag) feste Sprechstunden an, die speziell für Programmpatient:innen reserviert sind. In einigen Verträgen sind zusätzlich Abendsprechstunden vorgesehen, etwa bis 20 Uhr, um Berufstätigen den Zugang zu erleichtern.
- Reduzierte Wartezeiten: Nach vorheriger Anmeldung soll die Wartezeit in der Praxis möglichst 30 Minuten nicht überschreiten.
- Umfassende Therapie: Im Facharztprogramm sind Abläufe und Qualitätsstandards vertraglich festgelegt. Dazu gehören zum Beispiel regelmäßige Kontrolluntersuchungen und die Rückmeldung an die Hausarztpraxis. Patient:innen erhalten damit keine völlig neuen Leistungen, aber eine hohe Behandlungsqualität.
Nachteile für Patient:innen im Facharztprogramm
- Bindung an ein Facharztnetz: Eingeschriebene Patient:innen können nur die Fachärzt:innen aufsuchen, die am Vertrag teilnehmen. Wer bereits eine andere Praxis gewohnt ist oder wechseln möchte, hat während der Teilnahme keine freie Wahl.
- Überweisungspflicht: Fachärztliche Behandlungen sind nur über eine Überweisung der gewählten Hausarztpraxis möglich. Das stärkt zwar die Koordination, bedeutet aber auch, dass der direkte Zugang zur Facharztpraxis entfällt.
Warum ist das Facharztprogramm besonders für chronisch Erkrankte sinnvoll?
Patient:innen mit chronischen Erkrankungen wie Herzinsuffizienz, Diabetes oder COPD brauchen regelmäßige Facharztkontakte, Verlaufskontrollen und eine abgestimmte Therapie. Im Facharztprogramm sind dafür feste Terminfristen, reservierte Sprechstundenzeiten und die Rückmeldung an die Hausarztpraxis vorgesehen.
So wird gewährleistet, dass notwendige Untersuchungen rechtzeitig stattfinden und Informationen nicht verloren gehen. Doppeluntersuchungen lassen sich vermeiden und die Behandlung kann enger an den Leitlinien ausgerichtet werden. Für Patient:innen bedeutet das eine verlässlichere Versorgung, für Ärzt:innen mehr Transparenz in der Behandlungskette.
Evaluation der Facharztprogramme
Bei einer Evaluation des Facharztvertrags Kardiologie der AOK Baden-Württemberg zeigte sich, dass das Facharztprogramm die Überlebenschancen von herzkranken Patient:innen erhöht. Auch die Verordnung der in den Leitlinien empfohlenen Medikamente erfolgte häufiger, und die Gesamtkosten für das Gesundheitssystem waren niedriger als in der Regelversorgung.
Dieses Beispiel bezieht sich auf einen einzelnen Vertrag im Fachgebiet Kardiologie. In den kommenden Jahren sind weitere Evaluationen in anderen Fachrichtungen zu erwarten.
Fazit: Was das Facharztprogramm bewirkt
Das Facharztprogramm bietet für Patient:innen und Ärzt:innen spürbare Vorteile. Patient:innen profitieren von schnellen Terminen, reservierten Sprechstundenzeiten und einer abgestimmten Behandlung zwischen Haus- und Fachärzt:innen. Für Ärzt:innen entsteht ein verlässlicher Rahmen durch extrabudgetäre Vergütung und verbindliche Kooperationsstrukturen.
Herausforderungen wie zusätzlicher organisatorischer Aufwand oder eingeschränkte Flexibilität in der Terminplanung bleiben bestehen, ändern aber nichts am Kern: Das Facharztprogramm stärkt die koordinierte Versorgung und schafft für viele Praxen ein gutes Netzwerk, besonders bei der Behandlung chronischer Erkrankungen.
CEO Oska Health
Niklas hat 10 Jahre Erfahrung im nephrologischen Versorgungssektor sowie in Aufbau und Leitung von leistungsstarken digitalen Teams. In seiner letzten Position war er Director of Digital Products bei Fresenius Medical Care. Niklas hat drei Unternehmen gegründet und hält einen Executive MBA der Universität St. Gallen.